Mindestsicherung Quo Vadis?

 

Die im Jahr 2010 eingeführte bedarfsorientierte Mindestsicherung ist heftiger Kritik und immer stärkeren Angriffen ausgesetzt.

Die höchstwahrscheinlich verfassungswidrigen Kürzungen in Oberösterreich und in weiterer Folge auch in Niederösterreich sind offensichtlich nur das erste Scheibchen der hinlänglich bekannten „Salamitaktik“.

 

Waren und sind die dumpfen Argumente der freiheitlichen Politiker*innen ganz leicht und klar als fremdenfeindlich und rassistisch zu erkennen, sind die von neoliberaler und konservativer Seite ins Treffen geführten Gründe schon sehr viel perfider und zielen nicht mehr nur auf subsidiär Schutzberechtigte, sondern ganz allgemein auf alle Bezieher*innen dieser Sozialleistung.

Aber auch Hans Jörg Schellhorn von den NEOS setzt dabei ebenso auf die Neiddebatte wie Gernot Blümel, ÖVP, der eine Mindestsicherung light fordert.

 

Der neueste Diskussionsbeitrag von AMS-Chef Johannes Kopf bringt aber eine neue Qualität in diese Debatte.

Einer Debatte, die letztendlich von den in diesem Zusammenhang zu stellenden Fragen nach

 

*der Verringerung der Anzahl von Vollerwerbsarbeitsplätzen und dementsprechend steigenden Arbeitslosenzahlen und

 

*Löhnen und Gehältern die in keiner Weise an den Produktivitätszuwächsen partizipieren, sondern im Gegenteil sogar Kaufkraftverluste in Kauf zu nehmen haben

 

ablenkt und somit darauf abzielt Repressionen zu verstärken und Diskussionen über zu niedrige Arbeitseinkommen oder Arbeitszeitverkürzungen (oder alternative Formen wie das bedingungslose Grundeinkommen) gar nicht erst aufkommen zu lassen.

 

Vorgeblich um Kompromiss bemüht, werden durchaus notwendige und vernünftige Vorschläge in den Vordergrund gerückt.

 

Die geforderte Vereinheitlichung der Leistungen für das ganze Bundesgebiet zum Beispiel ist eine schon längst fällige Notwendigkeit.

So ist kaum nachzuvollziehen, warum eine vergleichbare Familie in Vorarlberg deutlich weniger (€ 1.689,-) bekommt als in Salzburg (€  2.272,-) oder Tirol (€ 2.436,-)

 

 

Durch die, von einzelnen Bundesländer vorgenommenen, Kürzungen werden Ungleichheiten noch vergrössert. So werden zb die nun in Niederösterreich mit 1. Juli in Kraft tretenden Veränderungen Menschen wahrscheinlich nötigen nach Wien zu übersiedeln.

 

Ebenfalls einer dringenden Änderung bedarf die Möglichkeit des Zuverdienstes bei der Mindestsicherung.

Es ist richtig, dass die derzeitige Regelung nicht dazu geeignet ist, Menschen die finanzielle Sinnhaftigkeit zu vermitteln sich eine – wenn auch geringe – Erwerbsarbeit zu suchen. Verringert doch jeder zusätzlich zur BMS verdiente Euro diese um denselben Betrag. Das heisst, derartige Erwerbseinkommen werden mit einer Abgabenquote von 100 % belastet.

Eine intelligente, fliessende Einschleifregelung sollte von Vorteil für alle direkt Betroffen und die Gesellschaft insgesamt sein. Der Ausbau der negativen Einkommenssteuer im Zusammenhang mit einem Mindestlohn von € 1.700,- für Vollzeitbeschäftigte könnte ein adäquater Lösungsansatz sein.

 

Könnte!

 

Denn dass die Intentionen des Diskussionsbeitrages in eine völlig andere Richtung gehen, zeigt sich hier.

Zitat:

„Insbesondere bei Familien sind die gegenwärtigen Mindestsicherungssätze in Relation zu den am Markt erzielbaren Einkommen hoch, oft sogar zu hoch.“

 

Dies entspricht auch der Position der ÖVP Niederösterreich die lautet:

die Mindestsicherung vernichte die Anreize, Arbeit anzunehmen, und soll etwa bei 1.500 Euro pro Monat für Familien mit mehreren Kindern begrenzt werden.

 

Es geht also ganz eindeutig nicht darum, positive „Anreize“ zur Annahme einer Erwerbsarbeit zu schaffen, sondern um eine Beschneidung bzw. Kürzung der BMS. Und zwar nicht mehr nur den Teil der subsidiär Schutzberechtigten – was natürlich ebenso verwerflich wie dumm ist – sondern für alle Bezugsberechtigten.

Es ist zu befürchten, dass nach der Durchsetzung der Kürzung für „Ausländer*innen“, diese Verschlechterungen für alle Mindestsicherungsbezieher*innen gefordert und durchgesetzt werden.

 

Als Beispiel dafür, wie in dieser Diskussion mit falschen Zahlen argumentiert und die Neiddebatte geschürt wird, sei darauf hingewiesen, dass die BMS im Gegensatz zur 14 maligen Auszahlung eines Erwerbseinkommens nur 12 mal jährlich ausbezahlt wird. Um beim Beispiel der € 1.500,- zu bleiben ergibt das einen jährlichen Unterschied von € 3.000,- bzw. umgerechnet von € 250,- monatlich.

Der Vergleich der Netto-Monats-Auszahlungsbeträge ist daher unredlich.

 

Wessen Agenda der Chef des AMS vertritt, offenbart sich aber auch in einem Vortrag für die WKO.

„Beim umstrittenen Thema Zumutbarkeit könnte der Hebel auch bei der Vollziehung der bestehenden Regeln durch das AMS angesetzt werden.“

und

„Wir sollten aber nicht nur über die Zumutbarkeit reden, sondern auch über Inaktivitätsfallen, etwa bei der Mindestsicherung.“

Dazu hätte er gerne mehr Daten.

„So sind zum Beispiel Daten über Sanktionen ebenso wie detaillierte Auswertungen nach diversen Personenmerkmalen kaum erhältlich.“

Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.

 

Und den „Knüppel aus dem Sack“ läßt Herr Kopf dann in einem Interview für OE1, als er sich bei der Mindestsicherung für mehr Sachleistungen ausspricht.

„Kopf sagt, man solle lieber Wohnen und Heizen zahlen und nur den Rest in Geld, um Missbrauch zu verhindern.“

 

Dieser Rückschritt in einen paternalistischen Staat, den wir glaubten Anfang des 21. Jahrhunderts eigentlich überwunden zu haben, zeigt sehr deutlich wohin die Reise gehen soll.

 

Der nächste Schritt wird die Einführung von Lebensmittelmarken und die völlige Abschaffung von Geldleistungen sein.

 

Es ist gerade das Sachleistungsprinzip, das sich im Lebensalltag von Armut und in Not geratenen Menschen als stigmatisierend und ihren Sonderstatus verfestigend erwiesen hat. Die dauerhafte Versorgung mit Sachleistungen beeinträchtigt die Lebensplanung und das Selbstbestimmungsrecht von Anspruchsberechtigten in erheblichem Ausmaß. Das Sachleistungsprinzip verletzt die Würde von Menschen, schränkt die persönliche Freiheit der Betroffenen unverhältnismäßig ein und stellt nach unserer Ansicht einen Eingriff in elementare Grundrechte dar. Sachleistungen verschärfen die ohnehin schwierige psychosoziale Lage der Betroffenen da sie über wesentliche Aspekte von Menschenwürde im Alltag faktisch nicht selbst entscheiden können.

 

Sozial ist, was Würde schafft!

 

 

 

 

 

 

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