sehr geehrter herr öllinger,

lieber karl!

 

(ich erlaube mir das du-wort, weil wir im wahlkampf zur nrw2013 in der AK gemeinsam auf einem podium gesessen sind und uns auch dort duzten.)

 

zuerst einmal gratuliere ich dir, zu deinen worten zur mindestsicherung in der budget-debatte am 23.11.

du warst der einzige, der da klartext gesprochen hat.

 

grund für diesen offenen brief ist aber nicht deine lobenswerte haltung zur mindestsicherung, sondern

dein beitrag zum bedingungslosen grundeinkommen.

 

du hast mit eco natürlich recht, dass es bezüglich der änderung der gesellschaft keine einfache antwort gibt.

und das bge ist auch mit sicherheit nicht die eierlegende wollmilchsau, die alle probleme von selbst löst.

wer aber will mit der einführung des bge bereits erreichte sozialleistungen wie zb das pflegegeld abschaffen?

 

aber der reihe nach.

 

 

du fragst: wer ist alle?

 

na alle natürlich – aber vielleicht halt nicht alle jetzt gleich auf einmal.

ich darf daran erinnern, dass auch die einführung von pensionen oder der sozialversicherung nicht sofort für alle gültigkeit hatten.

ebenso wie zb die einführung des wahlrechtes, bei dem frauen am beginn ausgeschlossen waren.

hätte man mit diesen massnahmen warten sollen, bis wirklich ALLE diese rechte zugesprochen bekommen?

 

eine mögliche variante wäre zb die einführung des bge für alle rechtmässig in österreich lebenden menschen unter berücksichtigung der eu-regeln für die personenfreiheit.

für alle anderen wäre eine übergangsregelung die sich an die bedingungen zum erhalt der staatsbürgerschaft orientiert eine vorstellbare variante.

 

natürlich wäre es wünschenswert, wenn das bge konzertiert in ganz europa mit gleichen bedingungen eingeführt würde.

aber hätten wir in österreich mit dem frauenwahlrecht solange warten sollen, bis auch die schweizer endlich bereit waren, frauenstimmen als gleichberechtigt gelten zu lassen?

 

übrigens halte ich die reduzierung der höhe des auszahlungsbetrages für minderjährige für falsch.

mit dem gleichen argument könnte eine reduzierung für ältere menschen angedacht werden.

ein mensch ist ein mensch ist ein mensch.

unabhängig davon, wie alt er ist.

 

 

dann fragst du: wann ist genug?

 

und gleich vorweg bevor ich auf das thema höhe und finanzierung eingehe:

den hinweis auf das beispiel alaska finde ich fast polemisch.

ich kenne niemanden, der alaska als leuchtendes vorbild hinstellt.

 

aber jetzt zur eigentlichen frage.

auch da wird es keine einfache antwort geben.

beginnen wir bei der höhe.

 

natürlich wäre eine höhe, die sich am aktuellen betrag der armutsschwelle von € 1.161,- orientiert wünschenswert.

unter der annahme von 8,5 mio bezugsberechtigten und 12x auszahlung/jahr, würde die gesamtsumme des auszuzahlenden grundeinkommens dann etwa 1/3 des bip (118/352 mia) ausmachen.

ein, wie ich zugebe, beachtlicher brocken, der unter der berücksichtigung anderer notwendiger und wesentlicher staatsaufgaben (bildung, gesundheit, sicherheit, infrastruktur), nur mit einer deutlichen erhöhung von steuern und abgaben umsetzbar wäre. eine erhöhung die den widerstand der besitzstandwahrer mehr als nur deutlich vergrössern würde.

 

es gibt aber in österreich etwas, was sich existenzminimum, also den nicht pfändbaren teil eines einkommens, nennt.

dieser betrag orientiert sich an der höhe des ausgleichszulagenrichtsatzes und beträgt im jahr 2016 € 882,72.

sehr viele menschen in diesem land, müssen mit diesem betrag auskommen und viele (mindestsicherungsbezieher) sogar mit etwas weniger.

ein bedingungsloses grundeinkommen in dieser höhe ist also durchaus existenzsichernd und realistisch.

unter den o.a. annahmen ergäbe sich ein gesamtauszahlungsbetrag von 90 milliarden und somit etwa ein viertel des bip.

 

 

womit wir beim punkt finanzierung wären, welcher naturgemäss in seiner ausformung sehr von der höhe des grundeinkommens abhängig ist.

 

wenn wir jetzt also von einem „existenzsichernden“ betrag ausgehen, ist dies ein gesamtbetrag, der mit politischem willen auch realistischer weise umzusetzen ist.

 

wie das in etwa aussehen könnte zeigt hier ein beispiel mit zahlen aus dem jahr 2014.

anzumerken ist noch, dass in diesem modell weder die schwer zu quantifizierenden einsparungen durch den bürokratieabbau, noch der eventuelle rückfluss über erhöhte mehrwertsteuereinnahmen berücksichtigt wurden. auch eine dringend notwendige wertschöpfungsabgabe in relevanter höhe ist in diesem modell nicht berücksichtigt.

 

aber natürlich ist das, auch wegen der fehlenden ressourcen, kein unfehlbares modell und es wird bezüglich finanzierung noch intensive diskussionen und viele modellberechnungen brauchen.

gerade da ist die politik gefordert.

gefordert dahingehend, finanzielle mittel für ebendiese berechnungen und für weitere pilotprojekte zur verfügung zu stellen.

 

besonders verstörend ist es dann, wenn aus jenem bereich der politik, der vermuteter weise für eine weiterentwicklung unserer gesellschaft steht, die bestrebungen positive veränderungen voranzutreiben, vorurteilbehaftete (wie zb dein vorwurf, ökonomische realitäten zu ignorieren) ablehnung kommt.

argumente wie deines von den potemkinschen dörfern sind eigentlich eher aus dem rückwärtsgewandten lager konservativer oder gar nationalistischer kreise zu erwarten.

 

so weit, so schlecht!

 

du schreibst weiters:

„Vermutlich wäre ein Grundeinkommen mit breiter Akzeptanz (und niedriger Höhe) erst dann durchsetzbar, wenn vorher die wichtigen sozialen Sicherungssysteme bzw. der Sozialstaat, wie wir ihn heute (noch) kennen, weiter ausgehöhlt würden.“

wichtig erscheint mir dabei dein in klammer gesetztes „noch“.

 

dieses „noch“ ist deshalb richtig und wichtig, weil wir täglich erleben müssen, wie an allen möglichen ecken und enden soziale leistungen beschnitten werden.

aktuell besonders deutlich im bereich der mindestsicherung.

aber nicht nur, wie auch die in den letzten tagen angedachte kürzung der familienbeihilfe für nicht bei den eltern in österreich lebende kinder zeigt.

wir alle, denen am zusammenhalt unserer gesellschaft gelegen ist, sind im abwehrkampf gegen asoziale, konservative und neoliberale angriffe auf den sozialstaat gefangen.

es ist zu beobachten, dass „wir“ uns mit bescheidenen erfolgen, wie dem einen oder anderen erhalt einer leistung zufrieden geben.

auf dauer wird das soziale netz aber immer weiter und weiter geknüpft und am ende werden viele durch die maschen fallen.

diese defensive haltung ist ermüdend und raubt jede hoffnung.

 

gerade das bedingungslose grundeinkommen ist aber dazu angetan, ein positives gegenmodell zu entwerfen. eine utopie die aufzeigt, dass es ein positives gesellschaftsmodell gibt, dass nicht auf neid und missgunst baut, sondern auf individuelle entscheidungsfreiheit über das eigene handeln und ohne existenzängste.

 

wenn es gelingt diesen gegenentwurf entsprechend realistisch zu präsentieren, wird auch die akzeptanz in der öffentlichkeit steigen (wie zb in finnland, wo sich 70 % der bevölkerung für das bge aussprechen).

und mit zunehmender akzeptanz wird aus der utopie realität werden.

 

 

du hast recht, wenn du feststellst:

„Unsere Wirtschaft scheitert derzeit schon gewaltig an dem vergleichsweise einfachen Problem, allen Menschen für ihre Erwerbsarbeit ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung zu stellen.“

jetzt hast du leider nirgends ausgeführt, wie du dir vorstellst, dass dieses faktum zum positiven geändert werden kann.

 

im gegensatz zu dir befürchte ich, dass dieses problem der zur verfügungstellung von struktureller erwerbsarbeit kein „vergleichsweise einfaches“ ist, sondern im gegenteil mit fortschreitender digitalisierung und allem, was so unter dem schlagwort „industrie 4.0“ zu verstehen ist, nicht nur schwieriger, sondern nahezu unlösbar wird.

 

es wäre ein leichtes, unzählige beispiele anzuführen, in welcher weise in zukunft menschliche arbeitskräfte von robotern oder computern ersetzt werden.

das beginnt beim fahrerlosen güter- und personenverkehr, über lager- und fabrikshallen ohne menschen bis hin zu häusern, die aus dem 3-d-drucker kommen. auch viele bereiche von „white-collar-worken“ in banken, versicherungen oder rechtsanwaltskanzleien werden in zukunft mit weniger menschlichen arbeiter*innen auskommen.

selbst der immer wieder als „arbeitsplatzbringer“ angeführte pflegebereich wird – wie man in japan schon beobachten kann – beute von robotern.

 

diese problematik führt nicht umsonst gerade bei jenen unternehmenslenkern, die diese entwicklung vorantreiben (siemens, sap, tesla um nur die aktuellsten zu nennen), zum umdenken und zur erkenntnis, dass es ein bedingungsloses grundeinkommen braucht.

 

womit wir wieder bei der oben besprochenen akzeptanz angelangt sind.

die für immer mehr menschen deutlicher werdenden veränderungen in der arbeitswelt und die immer mehr und prominenteren befürworter, sollten auch vielleicht für dich ein anlass sein, deine grundsätzliche haltung zu überdenken.

 

realistischer weise ist nicht davon auszugehen, dass das bge mit einem big bang von heute auf morgen eingeführt wird.

gerade die von dir angeführten grünen positionen könnten und sollten ein teil jener bausteine sein, die auf dem weg zu einem bedingungslosen grundeinkommen für alle notwendig sind.

die, auch von den grünen, geforderte abschaffung der anrechnung des partnereinkommens wäre ebenso ein meilenstein, wie die abschaffung von zwangsmassnahmen durch das ams.

 

lass uns doch gemeinsam diesen weg schritt für schritt zum grossen ziel gehen, anstatt sich gegenseitig im weg zu stehen.

 

in aller verbundeheit im kampf gegen die soziale kälte in diesem land

 

gerhard hager

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