Es ist alles sehr kompliziert!

Fred Sinowatz

Um genau zu sein – er sagte:

„Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzu­geben, daß es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann.“ – Regierungserklärung 31. Mai 1983,

Und auch, wenn er für diese Aussage das erntete, was man heute einen Shitstorm nennt, hatte er recht.

 

Und es ist zu erwarten, dass diese Komplexheit in Zukunft zunimmt.

 

Nehmen wir als Beispiel die Situation am Arbeitsmarkt und wagen wir eine Blick in die Zukunft.

 

Klassische Arbeitsplatzpolitik besteht zb auch darin, Multinationalen Konzernen Zugeständnisse oder Geschenke zu machen, damit in „heimische“ Arbeitsplätze investiert wird. Aber auch innerhalb Österreichs gibt es diesen Wettbewerb um „Arbeitsplätze“.

 

Die Stadt Fresno in Kalifornien bot Amazon ein 100-jähriges Steuerabkommen an, bei dem die Einnahmen in einem „Fonds“ gemeinsam verwaltet und Amazon Zugriff auf die Steuergestaltung und Ausgabenpolitik bekäme. Der Deal: 15 Prozent der Steuern blieben in den Kassen der Kommune, die restlichen 85 Prozent und damit der Löwenanteil würden in Amazon-Projekte fließen.

 

Diese Konzerne nutzen den „Wettbewerb“ auf Kosten der Steuerzahler unter den konkurrierenden  Staaten/Ländern hemmungslos um die eigenen Gewinne zu maximieren. Und sie nutzen diese Argumente um „Standortvorteile“ sogar doppelt. Nämlich auch um die Lohnkosten niedrig zu halten.

Das wird desmanchen auch unverblümt ausgesprochen.

Z.B. Magna Europe-Chef Günther Apfalter mit einer in einem Kurier-Interview geäußerten Drohung, dass Produktionen auch in den Osten Europas verlagert werden könnten, wenn die Löhne in Österreich nicht an jene in der „globalen Autoindustrie“ angepasst werden.

 

Was passiert, wenn diese „Förderungen“ auslaufen zeigt sich deutlich an einem Beispiel aus der Slowakei.

Samsung will Fabrik in der Slowakei schließen

Lokale Politiker hatten schon lange befürchet, der Konzern werde seine Bildschirm-Produktion nach dem Aus staatlicher Subventionen in das billigere Rumänien verlegen. In der Slowakei sind zuletzt dank verringerter Arbeitslosigkeit und wegen des Fachkräftemangels die Löhne stark gestiegen.

 

Aus der zynischen sichtweise neoliberaler Arbeitsmarktpolitik könnte dadurch aus der Migrationsbewegung im Lauf der Zeit ein „Standortvorteil“ entstehen.

„Flüchtlinge sind eine wertvolle Bereicherung am Arbeitsmarkt, zumal sie meistens viel billiger für Unternehmen sind und keine unverschämten Lohnforderungen stellen. Billige Arbeitskräfte sind gefragter denn je und es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass man als Einheimischer auch mal bereit ist, zu verzichten und an die finanzielle Belastung der Arbeitgeber zu denken. Die Arbeit ist es, was in erster Linie zählt und nicht das Gehalt. Bei Ausländern erübrigen sich solche Debatten. Die sind froh, Arbeit zu haben, alles andere ist nebensächlich.“

 

Gleichzeitig behauptet ein „Experte“: Der Arbeitswelt gehen die Mitarbeiter aus

Um die Herausforderungen in der Arbeitswelt der nächsten zehn Jahre zu beschreiben, braucht Dieter Spath nur zwei Sätze: „In Deutschland fehlen aus demografischen Gründen zehn Millionen Mitarbeiter. Die Digitalisierung wird helfen müssen, die Lücke zu füllen.“

 

Es werden also vom Gros der Unternehmen keine Mitarbeiter entlassen, sondern händeringend neue Arbeitskräfte gesucht.

Die deutsche IT-Branche aber warnt, dass das nicht mehr lange so bleiben wird, sondern dass die Digitalisierung auch in Deutschland in großem Stil Arbeitsplätze vernichten wird.

3,4 Millionen Stellen in den kommenden fünf Jahren sollen nach Angaben des Branchenverbands Bitkom hierzulande wegfallen, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen. Angesichts von aktuell knapp 33 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten entspräche das mehr als jeder zehnten Stelle. Jedes vierte Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sieht sich durch die Digitalisierung gar in seiner Existenz bedroht. Dies geht aus einer Umfrage des Verbands unter 500 Unternehmen quer durch alle Branchen hervor.

 

Aber weil das alles eben kompliziert ist, folgendes:

Praktisch jede hoch entwickelte Volkswirtschaft – auch die der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands – musste starke Arbeitsplatzverluste im mittleren Einkommensbereich verkraften. Zurück bleiben die Arbeiter. Empirische Studien zeigen, dass im Zuge des Stellenrückgangs in diesem Segment Millionen von Arbeitnehmern in schlecht entlohnte Dienstleistungstätigkeiten gewechselt oder ganz aus der Erwerbsbevölkerung ausgeschieden sind. Daron Acemoglu und Pascal Restrepo vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) etwa fanden heraus, dass jeder computergesteuerte Roboter die Nettobeschäftigung um drei bis sechs Stellen reduziert hat. Derweil führen die sinkenden Preise der Datenverarbeitung zu einer steigenden Nachfrage nach gut ausgebildeten Wissensarbeitern und damit zu einer Ausweitung der einkommensstarken Arbeitsplätze.

Auf den Punkt gebracht:

Es gibt Gewinner und Verlierer.

 

Schauen wir uns vielleicht noch ein aktuelles Beispiel dieser Entwicklung an.

Es geht um Roboter-Taxis. Die deutschen Traditionsunternehmen Daimler und Bosch liefern sich einen Wettkampf mit der Google-Schwester Waymo. Die Einführung rücke in „greifbare Nähe“.

Tests mit selbstfahrende Bussen werden auch in Österreich schon durchgeführt.

Weiter als in der Personenbeförderung ist man im Transportwesen.

Im US-Bundesstaat Nevada dürfen erste selbstfahrende Lastwagen auf nicht abgesperrten Strassen fahren.

Allein in Deutschland sind über 500.000 Menschen als Kraftfahrer beschäftigt.

 

Roboter und „artificial intelligence“ werden also weltweit den Arbeitsbegriff und den Arbeitsmarkt verändern.

Die Präsenz von Robotern erfordert ganz neue Arbeitsabläufe: Mitarbeiter werden zu Roboterbedienern umgeschult, Mülleimer dürfen nicht die Produktionsstraße blockieren, die Waren müssen exakt und Ort und Stelle abgelegt werden, damit sie die Greifarme der Industrieroboter verarbeiten können.

 

Fast schon gespenstisch zeigt das Video wozu Robotic schon imstande ist und lässt erahnen, was da noch kommen wird.

Fakt ist: Die Arbeit in den Lagerhallen könnte komplett von Maschinen übernommen werden. In Amazons neuem Supermarkt Go gibt es schon gar keine Kassen mehr. Das Konzept: keine Schlangen, kein Check-out, keine Kassenzettel. Der Kunde kann nach dem Prinzip „Grab and Go“ Artikel in die Einkaufstasche legen und kontaktlos bezahlen. Der Betrag wird einfach per App abgebucht – Kassierer braucht es nicht.

 

Ökonomen streiten über die Frage, ob die Automatisierung mehr Jobs vernichtet als schafft.

 

Eine wesentliche Frage für die Zukunft unserer Gesellschaft wird also sein, wie wir auf diese Veränderung reagieren.

Aber weil eben alles kompliziert ist, gibt’s da unterschiedliche Antworten.

Von seiten österreichischer Unternehmen ist eine Reaktion die Forderung nach einem 12-Stunden-Tag. Der Gesetzgeber will das nun möglich machen –  auch, wenn Mediziner sagen, dass wir gar nicht so lange produktiv sein können.

 

International geht der Trend aber in eine andere Richtung.

Deutsche Unternehmen testen den Fünf-Stunden-Tag, bei Toyota in Göteborg wurde die tägliche Arbeitszeit auf 6 Stunden reduziert und Porsche hat bereits im Jahr 2013 die wöchentliche Arbeitszeit auf 34 Stunden reduziert. Und auch in Österreich wagen Unternehmen bereits den Schritt zur Arbeitszeitverkürzung. 30 Std wöchentlich bei vollem Lohnausgleich.

Erst vor kurzem wurde in Österreich im besonders fordernden Pflegebereich für eine Arbeitszeitverkürzung und bessere Entlohnung gestreikt.

 

Gleichzeitg gibt es am österreichischen Arbeitsmarkt bereits seit längerer Zeit einen Trend, den man durchaus als „kalte“ Arbeitsverkürzung – also ohne Lohnausgleich – bezeichnen muss.

Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an den unselbständig Erwerbstätigen hat sich in Österreich von 1996 bis 2016 mehr als verdoppelt. Er stieg von 13,5 Prozent auf 28,9 Prozent, bei Männern hat er sich sogar fast vervierfacht. Allerdings sind nach wie vor 80 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten weiblich. In absoluten Zahlen waren 2016 von rund 3,7 Millionen Erwerbstätigen etwa 1,1 Millionen Teilzeit beschäftigt.

Österreichs Teilzeitbeschäftigte würden vielfach aber gerne mehr Stunden arbeiten: 30 Wochenstunden stellen für viele das ideale Arbeitszeitausmaß dar.

 

Eine Entwicklung, die natürlich nicht auf Österreich beschränkt ist.

Die Globalisierung und die technologische Revolution haben dazu geführt, dass ein globaler Arbeitsmarkt entstanden ist. Das hat in den USA und in Europa zu Outsourcing und Druck auf die Löhne geführt. Dadurch ist das Prekariat angewachsen. Millionen von Menschen sind mit Unsicherheit, unsteter Arbeit sowie niedrigen und schwankenden Löhnen konfrontiert.

Davon betroffen werden aber auch Schichten sein, die sich derzeit noch in Sicherheit wiegen.

Das mittlere Management ist in ebenso in Gefahr. Viele Menschen werden sich am unteren Ende ihres Bereichs wieder finden, wie Juristen, Banker oder Versicherungsangestellte.

 

Wer ist nun diese „Mitte“?

Alle sind Mitte

Arme Menschen halten sich für reicher, als sie sind. Das nutzt Vermögenden und Gutverdienern.

Die Einschätzungen bewegen sich dabei bei relativ reicheren und relativ ärmeren Menschen in gegenläufige Richtungen falsch: Ärmere Menschen überschätzen ihre Position meist. Sie halten sich also für relativ reicher, als sie es sind. Wohlhabende Menschen hingegen unterschätzen ihre Position oft: Sie schätzen sich ärmer ein, als sie es wirklich sind.

Dieses Nichtwissen der einen vereinfacht es den Wissenden, ihre Interessen durchzusetzen. Den Nichtwissenden ist ja gar nicht bewusst, wie ihnen geschieht. Leicht entsteht hier ein Machtgefälle, das sich automatisch weiter verstärkt.

So bildet sich am oberen Ende eine Elite die gut lebt.

 

Wer zählt nun in Österreich zur Mittelschicht? Und wie groß ist sie?

Hier geht’s zumSchicht-Rechner

 

Überrascht vom Ergebnis?

Enttäuscht?

 

Dazu kommt noch die Vermögensfrage, die sich mit der Vererbung der Vermögen durch die Nachkriegsgeneration verschärft stellt. Wie geht das Land damit um, dass die Erbschaftswelle die Ungleichheit der Vermögensverteilung noch zuspitzen dürfte?

 

Um das ganze noch komplizierter zu machen, auch noch ein Blick auf die vorherrschende ökonomische Ideologie – den Neoliberalismus.

Eine Idee, die den Gott des Marktes verehrt.

Allgegenwärtig werden wir heute dazu gedrängt, uns als Individuen zu verstehen, die für ihr Glück eigenverantwortlich sind. Wir unterliegen einer Logik, die sich früher auf die vereinfachte Darstellung von Warenmärkten auf einer Tafel beschränkte (Wettbewerb, perfekte Information, rationales Verhalten), und die mittlerweile auf die gesamte Gesellschaft angewandt wird – bis sie unser ganzes Leben beherrscht. „Verkauf dich immer richtig“ ist Leitspruch der Selbstverwirklichung geworden.

 

Der Neoliberalismus bezeichnet die Prämisse, die sich still und leise in unser Leben geschlichen hat und bestimmt, was wir tun und glauben: dass nämlich Wettbewerb das einzig legitime Organisationsprinzip menschlichen Handelns ist.

Diese Philosophie und der technische Wandel führen dazu, dass es zu einer ungeheuren Machtkonzentration in Händen einer „Tech-Elite“ kommt und dass gleichzeitig ein globales Prekariat entsteht.

 

Vereinfacht lässt sich diese Komplexität an einer kleinen Geschichte darstellen.

 

Anfang der 1950er Jahre führte Henry Ford II den Gewerkschaftsführer Walter Reuther durch eine hochmoderne Motorblockfabrik in Cleveland. Der Gastgeber fragte den Chef der mächtigen Gewerkschaft United Automobile Workers spitz, indem er auf die menschenleere Halle zeigte: „Walter, wie willst du diese Roboter dazu bringen, dass sie deine Beiträge zahlen?“ Darauf konterte Reuthers: „Henry, wie willst du die Roboter dazu bringen, dass sie deine Autos kaufen?“

 

Diese Geschichte übertragen auf das 21. Jahrhundert.

Die Tech-Elite und Gewinner der Digitalisierung fragen, wozu sollen wir mit Steuern und Abgaben auf unsere Gewinne die Verlierer dieser Entwicklung durchfüttern?

Die Antwort darauf müsste verantwortungsvolle und vorausschauende Politik geben.

 

Derzeit ist die Hoffnung, dass auch eine dementsprechende Antwort kommt leider sehr gering.

Es ist eben alles sehr kompliziert!

 

In diesem Sinne:

Bleibt´s gsund und losst´s eich nix gfoin!

Und passt´s auf eich auf!

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