Die Beugehaft ist nicht neu, sie wurde auch nicht wiedereingeführt, die Regierung hat das Gesetz notdürftig repariert, nachdem es der VfGH zuvor einkassiert hatte. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob so ein Mittel in einer Demokratie überhaupt etwas verloren hat. Wenn der Staat meint Strafen zu brauchen, um seine Interessen durchzusetzen, kann er diese in Gesetze gießen, was üblicherweise auch passiert. Die Beugehaft ist quasi ein Blanko-Check für Dinge für den Vollzug.

Dass sich der VfGH überhaupt mit diesem Thema beschäftigen musste, liegt an einem Staatsangehörigen Nepals, der in Österreich einreiste und einen letztlich erfolglosen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) verhängte über die Person mehrfache Haftstrafen (Beugungshaft), um die Mitwirkung bei der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes zu erzwingen [1]. Der VfGH hat festgestellt, dass Beugungshaft ohne zeitliche Begrenzung illegal ist, was man in einer Demokratie eigentlich erwarten sollte. Sie ist aber auch dann illegal, wenn absehbar ist, dass selbst eine Anhaltung auf unbestimmte Dauer nicht zum Erfolg führen würde, z.B. weil der Fremde diese in Kauf nimmt, um die Aufenthaltsbeendigung zu vermeiden [2].

Leute dürfen also nicht beliebig lang am Stück, aber beliebig oft und damit beliebig lang in Summe eingesperrt werden, die Strafe soll auch jedes Mal steigen, aber sie darf nur verhängt werden, wenn sie auch etwas bringt. Es ist also weder Fisch noch Fleisch, die persönliche Freiheit darf nicht zu stark eingeschränkt werden, aber es muss halt schon ein bisserl nervig sein. Klingt also insgesamt sehr österreichisch. Das Gesetz bleib schwammig und schafft damit weiterhin keine Rechtsicherheit, was gerade im Hinblick auf die kommende Corona-Impfpflicht nicht besonders vertrauensfördernd ist.

In der Ausschusssitzung betonte Friedrich Ofenauer (ÖVP), dass die Beugehaft als letztes Mittel zu verstehen sei

Grünen-Abgeordnete Agnes Sirkka Prammer unterstrich, dass ein Staat nur so stak sei, wie seine Möglichkeiten, Entscheidungen durchzusetzen. Sie wies auf einen eingebauten Rechtsschutzmechanismus hin

Johannes Margreiter (NEOS) […] führte weiter aus, dass es dabei nicht um klassische Gesetzesübertretungen gehe, sondern um individuelle Fälle

Christian Drobits (SPÖ) hob besonders die Beschränkung der Haft auf ein Jahr positiv hervor

Susanne Fürst (FPÖ) sprach die laufende Debatte zur Impfpflicht an, [es] sei nicht auszuschließen, dass eine Beugehaft speziell bei Impfunwilligen bald massenhaft zur Anwendung kommen könne.

Aussendung des Parlaments [3]

Der Nationalrat hat genau die beiden Punkte (Höchstdauer, Rechtsschutz) korrigiert, die vom VfGH beanstandet wurden. Die Aussagen der unterstützenden Parteien sind damit an Inhaltsleere kaum zu unterbieten. Ich würde der ÖVP gerne Absicht und der Grüne die Haltung einer Fahne im Winde unterstellen, die Neos genau wie ihrer deutschen Schwesterpartei FPD, die ebenfalls liberale ist und sich für Zwangsmaßnahmen ausspricht eine sehr fragwürdige Linie und der SPÖ glänzen durch Abwesenheit. Tatsächlich war es vermutlich der Zeit geschuldet, weil man kurz vor knapp drauf gekommen ist, dass hier noch Handlungsbedarf, besteht. Jedenfalls ist es ein gefundenes Fressen für die FPÖ, die zwar auch keinen Plan oder Gegenvorschlag hat, aber die Lage nutzt, um Angst zu verbreiten. Das geht so weit, dass in einigen Kreisen davon die Rede ist, die Beugehaft wäre neu eingeführt worden, wegen der kommenden Impfpflicht. Dass auch NGOs wie Amnesty International das neue Gesetz als ungeeignet kritisieren, verwundert nicht [4].

Bei der Beugungshaft geht es grundsätzlich um Verwaltungsübertretungen, alles, was strafrechtlich relevant ist, wird ohnehin im Strafgesetzbuch behandelt. Sie ist auch bei weitem nicht die einzige Möglichkeit des Staates, einen rechtlich geforderten Zustand herzustellen, er kann auch einfach Dinge veranlassen: Wenn jemand ein Haus in den Wald baut, kann er es abreißen, ein Fahrzeug beschlagnahmen oder ein Lokal zusperren. Darüber hinaus, kann der Gesetzgeber Strafen in den jeweiligen Gesetzen festlegen, wie dies z.B. bei der Impfpflicht angekündigt wurde [5]. Das wäre auch der Weg, wie man diese Dinge tun sollte: Man gießt sie in Gesetz und legt Mittel fest sie durchzusetzen, dann gibt es einen demokratischen Diskurs, es wird beschlossen oder auch nicht und am Ende wissen alle, was Sache ist.

Es ist also fraglich, wo der Staat das Gesetz überhaupt anwenden will. Es bleiben lediglich Verwaltungsverfahren, die keine klaren gesetzlichen Regeln haben (sonst gäbe es ja einen Prozess), d.h. dass es „nicht um klassische Gesetzesübertretungen gehe, sondern um individuelle Fälle, wenn beispielsweise einem Bescheid über eine zu erfolgende Handlung nicht Folge geleistet werde“ (Neos), wobei es so zu verstehen sei, dass „die Beugehaft als letztes Mittel zu verstehen sei, die ausschließlich dann zur Anwendung komme, wenn durch Geldstrafen dem Rechtsstaat nicht zum Durchbruch verholfen werden könne“ (ÖVP).

Gerade bei der ÖVP, die nicht gerade mit Humanismus und menschrechtsfreundlicher Politik glänzt, deren Gesetze regelmäßig von den Höchstgerichten einkassiert werden, die einen Kanzler wegen Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht absetzen mussten, einen Neo-Kanzler hat, der Milde bei Terroristen und übertrieben Härte bei Schulkindern zeigt, dessen (Geheimdienst-)Mitarbeiter*innen sich etwas dazu verdienen und flüchtigen Finanzmanager und Pornoportalbetreibern helfen, aber Kolleg*innen, die gegen Rechtsextremismus vorgehen wollen, hinaus mobben [6] und die einen Innenminister stellt, der offen von den Grünen für sein Verhältnis zum Austrofaschismus kritisiert wird [7], läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken.

Bei einem Blick über die Grenzen, was diese „individuellen Fälle“ sein können, gefriert mir schließlich das Blut:

  • Mit kurzer Unterbrechung befand sich Chelsea Manning knapp ein Jahr in Beugehaft, um sie zu einer Aussage gegen Wikileaks und Julian Assange zu zwingen [8].
  • Ein 22-jähriger Informatikstudent wurde in Großbritannien zu sechsmonatiger Haft verurteilt. Entgegen richterlicher Aufforderung hatte er nicht das Passwort für seinen beschlagnahmten Rechner herausgegeben [9].
  • Georg Thiel sitzt seit 3 Monaten im Knast, weil er die GEZ-Gebühren nicht zahlt, weil er weder ein TV, noch Radio besitzt [10]. Die Beugungshaft wurde verhängt, um ihn zu zwingen, sein Vermögen offenzulegen. Das war eine Konstruktion, um zu umgehen, dass wegen der GEZ Gebühren keine direkte Beugungshaft verhängt werden kann [11].

Gemeinsam mit der Piratenpartei habe ich daher eine Stellungnahme zur Regierungsvorlage ausgearbeitet. Wir sprechen uns darin gegen die Novellierung des Gesetzes in der derzeitigen Form aus. In Anbetracht der Fristen aber jedenfalls für eine Novellierung mit Ablaufdatum. Bis dahin soll das Gesetz unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft überarbeitet, Sachverhalte durch den Gesetzgeber konkretisiert und exemplarisch aufgelistet werden (Positiv-Liste), statt dem Vollzug einen Blanko-Check zu geben.

Die Stellungnahme kann hier unterstützt werden: 

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SN/SN_05953/

Auch in Bezug auf die Impfpflicht fordern wir, dass klare Regeln geschaffen und veröffentlicht werden. Im Gesetz sind nach vorläufigen Berichten bereits Strafen vorgesehen [12], es ist daher äußerst fraglich, ob die Beugehaft hier überhaupt zur Anwendung kommen könnte. Dennoch sollte dieser Punkt geklärt werden.

[1] https://360.lexisnexis.at/d/entscheidungen-ris/vfgh_g1642020_ua/u_verfassung_VfGH_2020_JFT_20201007_20G_98456d17f2?origin=rl&searchId=202112050932561&page=1
[2] https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFR_20201007_20G00164_01/JFR_20201007_20G00164_01.html
[3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/PK1396/#XXVII_I_01176
[4] https://www.amnesty.at/news-events/oesterreich-warum-die-wiedereinfuehrung-der-beugehaft-menschenrechtlich-problematisch-ist/
[5] https://www.profil.at/oesterreich/impfpflicht-droht-hardcore-verweigerern-am-ende-die-haft/401819998
[6] https://kontrast.at/nehammer-ruecktritt/
[7] https://www.derstandard.at/story/2000131678077/der-designierte-innenminister-und-das-dollfuss-museum-in-seiner-heimat
[8] https://taz.de/Chelsea-Manning-ein-Jahr-in-Beugehaft/!5667627/
[9] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Beugehaft-gegen-Studenten-Britische-Justiz-will-Passwort-2253408.html
[10] https://twitter.com/AliCologne/status/1402535099502153730
[11] https://uebermedien.de/60815/rundfunkbeitrag-georg-thiel-der-mann-der-ins-gefaengnis-ging-um-gez-rebell-zu-werden/
[12] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2130263-Erster-Entwurf-zur-Impfpflicht-liegt-vor.html

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2 thoughts on “Beugehaft

  1. bitte um korrektur: manning sitzt schon sei 1 1/2 jahren nicht mehr ein, weil ihre aussage nicht mehr vonnöten ist. der zitierte taz-artikel stammt vom märz 2020.

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