man zeigt sich gerne liberal, indem man die sexuelle orientierung anderer menschen „toleriert“.

man ist liberal bezüglich ausgelebter individualität in kleidung, stil und lebensentwurf.

sozusagen gesellschaftsliberal.

man präsentiert sich dabei als weltoffener fortschrittlicher moderner mensch.

 

als wirtschaftsliberaler widerum positioniert man sich für ein zurückdrängen schädlichen staatseinflusses und betont die „unsichtbare hand“ des freien marktes und verurteilt „übertriebene“

vorschriften und beschränkungen der freien wirtschaft.

 

das eine muss das andere nicht unbedingt ausschliessen, bedingt einander aber auch nicht.

 

„liberale“ die weniger staat und weniger regeln befürworten, aber gleichzeitig gegen die homoehe oder für die festung europa eintreten, sind ebenso zu finden, wie jene, die zwar gegen bevormundung durch den staat oder die einschränkung der bürgerrechte auftreten, aber gleichzeitig strenge regelungen bei arbeitszeiten oder bei den banken fordern.

bei vielen endet ihre liberalität zb auch bei der toleranz gegenüber der ausübung der frei gewählten religion anderer. oder bei der freigabe von (noch verbotenen) drogen wie cannabis?

 

liberal ist also nicht gleich liberal.

 

schauen wir uns also einmal an, woher der liberalismus eigentlich kommt und was er bedeutet.

Das lateinische „liber“ lässt sich salopp mit „frei“ übersetzen, „liberalis“ hingegen gleichbedeutend mit „Freiheit“. Somit wäre der Liberalismus nichts anderes als der Wunsch nach Freiheit oder einfach Freisinn, wobei das politisch und ökonomisch wie aber auch philosophisch aufgefasst werden kann.

 

es geht also um freiheit.

dabei muss aber jedem bewusst sein, dass unbegrenzte freiheit des eigenen tun und handelns nicht möglich ist.

 

„Die Freiheit des Einzelnen hört da auf, wo die Freiheit des Anderen anfängt“

dieses, rosa luxemburg zugeschriebene, zitat ist wohl allseits bekannt.

 

und judith shklar schreibt:

Jeder erwachsene Mensch sollte in der Lage sein, ohne Furcht und Vorurteil so viele Entscheidungen über so viele Aspekte seines Lebens zu fällen, wie es mit der gleichen Freiheit eines jeden anderen Menschen vereinbar ist.

 

wie vieles, was unsere moderne gesellschaft prägt, wurde dieser leitsatz aber bereits in der französischen revolution geprägt.

in der erklärung der menschen- und bürgerrechte (déclaration des droits de l’homme et du citoyen) vom 26. August 1789 liest sich das so:

„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden.“

und immanuel kant formuliert 1797 in seiner metaphysik der sitten:

Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.

 

liberal hat also zwangsläufig auch immer etwas mit dem staat (der gesellschaft) und den geltenden regeln zu tun.

regeln, deren gestaltung von unterschiedlichen interessensgruppen nach ihren vorstellungen beeinflusst werden.

wenn also wirtschaftsliberale die freiheit des marktes propagieren, muss das zwangsläufig andere freiheiten einschränken.

 

aktuelles beispiel: die arbeitszeitflexibilisierung. hier zeigt sich der konflikt auf der einen seite mit der forderung nach unternehmerischer freiheit und auf der anderen seite die individuellen freiheiten von arbeitnehmer*innen, selbst über ihre arbeitszeit bestimmen zu können.

 

wie überhaupt die freiheiten (sprich rechte) der menschen gegenüber den rechten der wirtschaft zunehmend in frage gestellt werden.

 

übertriebener konsumentenschutz hat negative auswirkungen auf die wirtschaft – so sepp schellhorn am 30.3. um 12.40 im nationalrat.

und vizekanzler mitterlehner sieht in kontrollen des arbeitsinspektorates einen übertriebenen arbeitnehmerschutz.

 

wie liberal ist also liberal, wenn „der markt“ bzw. die wirtschaft und nicht der mensch und seine freiheit im mittelpunkt einer gesellschaft steht?

 

ein wesentlicher aspekt in der definition von liberal bleibt in all diesen betrachtungen aber meist unbeachtet.

viele menschen sind eigentlich gar nicht in der lage, eigene freie entscheidungen zu treffen bzw. individuelle freiheit in anspruch zu nehmen, auch wenn sie die freiheiten anderer damit nicht einschränken würden, weil ihnen existenzielle wirtschaftliche zwänge diese möglichkeit nehmen.

 

oder noch drastischer: wie frei ist eine person in ihren entscheidungen, wenn das leben durch krieg und terror bedroht ist?

 

sollte da nicht für alle „liberalen“ an erster stelle das streben nach (wirtschaftlichen und politischen)  bedingungen stehen, die es möglichst vielen (allen?) menschen erlaubt, jene entscheidungsfreiheit, die grundlage jeder liberalität ist, auch in anspruch nehmen zu können?

 

wie liberal ist also liberal, wenn damit sehr oft nur die eigene (oder der sich zugehörig fühlenden gruppe) freiheit gemeint ist, ohne die mögliche oder unmögliche entscheidungsfreiheit anderer mitzudenken?

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