Das kam jetzt wirklich ziemlich überraschend.

Christian Kern tritt als SPÖ-Vorsitzender zurück.

 

So lauteten die Schlagzeilen am Dienstag nachmittag.

Und gleich dazu das Gerücht, dass Christian Kern bei Gazprom anheuert.

 

Alles nicht wahr.

Das sich Kern jetzt als SP-Vorsitzender doch verabschiedet ist wohl eher ein Kollateralschaden und Intrigen aus dem innersten Kreis der SPÖ geschuldet. Und der „Presse“ die das Gazprom-Gerücht genüsslich ausweidete.

Plan war aber ganz offensichtlich etwas Anderes.

(Anmerkung: Noch in den Sommergesprächen am 3.9. d.J. bezeichnete Kern, angesprochen auf Gerüchte über einen Rücktritt, diese als „Mumpitz“)

 

Kern wollte bis zur EU-Wahl im Mai 2019 Parteivorsitzender bleiben aber dann den Mühen der Oppositionsarbeit in Wien entgehen und seine politische Karriere in Brüssel weiterführen.

Aber eher nicht als einfacher EU-Abgeordneter, sondern mit einem Top-Job in der EU-Kommisson ausgestattet. Das dokumentiert auch das gestrige Treffen der europäischen Sozialdemokraten. Als gemeinsamer Europakandidat aller sozialistischen Parteien ist ihm ein solcher Spitzenposten fast sicher.

Sollte er von der SPE als Spitzenkandidat nominiert werden, hätte er, je nach Wahlausgang, Chancen Präsident der EU-Kommission zu werden oder z.B. Aussenbeauftragter und damit Vizepräsident der EU-Kommission. Und die ÖVP verlöre „ihren“ EU-Kommissar.

Dieser zweite Teil des Planes kann noch immer funktionieren. Die Chancen stehen da gar nicht schlecht.

(Anmerkung: Eigentlich habe ich vermutet, dass Kern schon informelle Deals mit wesentlichen Playern, wie zb der SPD, aber auch mit Macron, der eigentlich zur ALDE zuzurechnen ist, hat. Nach dem aktuell dilletantischen Vorgehen, erscheint mir das aber auch etwas fraglich.)

 

Die Reaktion der ÖVP zeigt auch, dass sie sich dieser Konsequenzen durchaus bewusst ist und beginnt bereits ihre Futtertröge zu verteidigen.

Auch die persönlichen Animositäten zwischen den beiden Slim-Fit-Trägern dürften da eine Rolle spielen.

So weit, so gut oder schlecht.

Bei Betrachtung der Ereignisse bleiben aber einige Fragen offen.

 

So jene nach dem selbstzugeschriebenen „Qualitätsjournalismus“ der Presse. Wie kann ein derartiger Fauxpas passieren? Dass das Haus Fellner diese Gerüchte nur zu gerne aufgegriffen hat, ist dagegen keine Überraschung. Auch für den ORF und dessen „Chefpolitiker“ Bürger war dieser Dienstag kein Ruhmensblatt.

 

(Anmerkung: Bürger hat bereits bei den diesjährigen Sommergesprächen eine unterirdische Performance abgeliefert. Ich bin ja in einem Alter, in dem ich zwangläufig bereits eine ganze Reihe derartiger Gespräche miterlebt habe, aber derartig schwach wie 2018 waren diese noch nie.)

 

Interessanter erscheint aber die Frage nach dem weiteren Weg der SPÖ.

 

Dazu vorher noch zurück zu Kern und seinem Wirken.

Ich war ja nie ein Fan von Christian Kern. Ich werde ihm auch keine Krokodilstränen nachweinen. Sein Plan A und seine Nähe zur neoliberalen Agenda waren weit weg von dem, was ich mir unter einer progressiven, gerechten Politik für die Menschen in diesem Land vorstellen.
Er ist mit seinen Ideen näher bei Macron als bei Sanders oder Corbyn. Er steht in einer Reihe mit Schröder und Blair. Ganz weit weg von Kreisky oder gar Dallinger.

Schnell war der Glorienschein, mit den man ihm bei seinem Politkeinstieg ausstattete, wieder verblasst.

Wie war die Freude gross, als im Mai des 2016, nach dem Caesarenmord, wie die Phönix aus der Asche die neue Lichtgestalt der Sozialdemokratie emporstieg.

Die Lobeshymnen gingen ins unermessliche.

Manche sahen ihn sogar übers Wasser gehen.

Vergleichbar mit jenen Huldigungen, die nun aus dem gegnerischen Lager Sebastian Kurz zufliegen.

 

Und genau zu diesem Zeitpunkt hat Christian Kern auch jenen Fehler begangen, an dem er letztendlich gescheitert ist.

Anders als Kurz, der etwa ein Jahr später an seine „Partei“ beinharte Bedingungen bei der Übernahme stellte, sich einem „Mehr von demselben“ verweigerte und Neuwahlen vom Zaun brach, versäumte es Kern die SPÖ zu seiner Partei zu machen und durch eine vorgezogene Nationalratswahl ganz deutlich einen „Neuanfang“ zu signalisieren.

 

Die Verletzungen des „Faymann-Flügels“, die Grabenkämpfe zwischen den linken und rechten Sozis, der Spagat zwischen neoliberalem Start-Up-Denken und traditionellem Klassenkampf offenbaren sich nun beim „Abgang“ von der Position des Parteivorsitzes. Es gab weder bei Umweltthemen, noch beim Arbeitsmarkt und schon gar nicht bei der Migrationsfrage eine einheitliche Linie.

Symbolisch dafür die vor kurzem mit Doskozil deutlich gewordenen Differenzen anlässlich des neuen Parteiprogrammes.

Wir dürfen keine grün-linke Fundi-Politik betreiben. Da schaffen wir uns selbst ab.“ sagte der Burgenländer unmissverständlich.

 

Jetzt wurde also der Parteivorsitzende Kern abgeschafft.

 

Was bleibt, sind aber die internen Differenzen. Es ist zu vermuten, dass durch die o.a. Indiskretionen diese Differenzen nicht kleiner geworden sind. Im Gegenteil.

Die Wochen bis zum nun für Ende November anberaumten Sonderparteitag, an dem einE neueR ParteivorsitzendeR gewählt werden soll, werden zeigen, wohin die Reise geht.

 

Kommt es zu dem in Wien (Ludwig) und Burgenland bereits vollzogenen Rechtsruck auch in der Gesamtpartei? Doskozil und Bures (sie wäre ein später Triumph Faymanns) wären deutliche Signale in diese Richtung. Den Beteuerungen der üblichen Verdächtigen, für das Amt nicht zur Verfügung zu stehen, ist ebensoviel Glauben zu schenken, wie dem „Mumpitz-Sager“ von Kern.

 

Schafft es der verbleibende progressive Teil der „Sozis“ die Quereinsteigerin und vielgelobte Rendi-Wagner aufs Schild zu heben? Wäre sie diesem Himmelfahrts-Kommando gewachsen?

Oder lässt sich der Kärntner Kaiser doch breitschlagen und wechselt aufs glatte Wiener Parkett?

 

Nicht ganz auszuschliessen wäre auch eine völlige Überraschung mit einem/r Kompromiss-KandidatIn, der/die derzeit nicht im Focus der Überlegungen steht. Beispiel für eine derartige Lösung könnte der Traiskirchner Bürgermeister Andi Babler sein.

 

Wie auch immer dieses Match ausgeht, zeichnen sich weitere harte Zeiten für die SPÖ ab. Ähnlich dem Werdegang anderer Sozialdemokratischen Parteien in Europa (Frankreich, Italien). Bei einem Parteivorsitzenden Doskozil z.B. könnte es zu einer immer wieder im Raum stehenden Abspaltung linker SPlerInnen kommen und eine neue Gruppierung links der SPÖ entstehen.

Bei einem Fortsetzen des „Kern-Kurses“ dagegen sind weitere Querschüsse und Intrigen vorprogrammiert. Und damit auch der weitere Abstieg bis zur Bedeutungslosigkeit der einst stolzen Sozialistischen Partei Österreichs.

 

Meines Erachtens hat die SPÖ eigentlich nur eine einzige Chance.

Und diese ist nach menschlichem Ermessen relativ unrealistisch.

Michael Häupl beendet seinen verdienten Ruhestand, erbarmt sich seiner grossen Lebensliebe und übernimmt bis zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse den Parteivorsitz.

 

In diesem Sinne:

Bleibt´s gsund und losst´s eich nix gfoin!

Und passt´s auf eich auf!

Aktualisierung:

Die Nominierung von Rendi-Wagner erfolgte jetzt viel schneller als zu erwarten war. Fürs erste und vordergründig erscheint damit Ruhe einzukehren.

Jetzt ist zu hoffen, dass die ehemalige Gesundheitsministerin jenes Durchsetzungsvermögen mitbringt, welches für die harte Oppositionsarbeit notwendig ist.

Es wäre ihr, der SPÖ und Österreich zu wünschen.

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1 thought on “Was nun? Pizzalieferant? Oder doch EU-Kommissions-Präsident?

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