heut hab ich amal ganz was anderes.

weil ich les ja, wenn ich zeitung les, nicht nur die politikseiten.

auch sport und noch so andere sachen.

und da hab ich dann gelesen:

Fast tausend Finnen strömten für Kunstaktion nackt auf die Straße

Anlass war eine Aktion des US-Fotografen Spencer Tunick.

und da bin ich neugierig geworden.

und da ist mir dann eingefallen, dass es sowas in wien vor langer zeit auch schon gegeben hat.

Der New Yorker Künstler Spencer Tunick schafft mittels großer Gruppen nackter Menschen temporäre ortsbezogene Installationen im öffentlichen Raum. Die Resultate sind Foto- und Videodokumentationen. Für die Kunsthalle Wien entstanden Arbeiten, die im Eingangsbereich und auf der Straße vor dem Museumsquartier aufgenommen wurden.

und da ist mir dann noch was eingefallen – die präsentation der neuen kunsthalle wien – eben auch mit nackapatzln.

das war aber keine aktion vom tunick, sondern von der vanessa beecroft.

und weil ich damals vor ort dabei war hab ich damals eine geschichte drüber geschrieben.

und die geht so:

heut muss ich euch von meinem kulturschock erzählen.

ihr wisst´s doch, was ein kulturschock ist?

und ich hab meinem am vergangenen wochenende gehabt.

aber der reihe nach.

also zuerst war da der freitag. und da war die eröffnung der neuen kunsthalle im museumsquartier.

in einer, wie ich meine, sehr gut gelungenen symbiose aus denkmalgeschützter gut renovierter altsubstanz und interessanter, ansprechender, moderner architektur. aber das nur am rande.

also eröffnung. mit performance-art. VB45

vb steht für vanessa beecroft. so heißt die künstlerin

und 45 steht für 45 nackte frauen.

da stehen also 45 nackte frauen drei stunden in der gegend herum.

ihr könnts euch vielleicht vorstellen, wie groß der andrang an allerlei leuten war, die sich diese gratis-peep-show geben wollten.

ich war ja auch dabei.

wann sieht man schon fünfundvierzig nackte frauen auf einmal. hat jemand von euch schon einmal so viel auf einmal gesehen. 45?

nicht einmal in einem pornofilm gibts soviel fleisch. noch dazu live! eine handvoll auf einmal vielleicht in der sauna. ein paar mehr vielleicht auf einem fkk-strand.

aber wenn das bei einer eröffnung eines museums ist und auf video gevilmt wird ist das kunst. und da kann man(n) dann ja ganz unverdächtig seinen neigungen nachgehen.

und es waren ja auch jede menge frauen dort. nicht nur nackte, nein auch welche die zugesehen haben.

was aber eigentlich gar nicht so einfach war, wegen der vielen leute.

und was für leute?

die adabeis aus der kulturszene. die gaffer, denen der sabber bis zu den knien geronnen ist. die schicki-mickis. die, die einfach überall dabei sind.

ich hab direkt ein schlechtes gewissen bekommen, weil ich auch zu den „leuten“ gehört hab an diesem abend.

trotz der vielen leute hab ich dann doch noch die performance gesehen. wenn auch nur ganz kurz.

und ich muss euch sagen, die leute die zugesehen haben waren viel interessanter als das kunstwerk.

weil

da stehen 45 frauen in der gegend, nur mit hochhackigen lederstiefeln bis über das knie bekleidete, komplett rasierte, mit streng nach hinten gebundenen blonden haaren und rühren sich nicht. bei einigen ist die bulimie für einen blinden mit dem stock zu greifen (wenn er greifen dürfte – darf er aber nicht).

wobei ich mir schon denk, dass es eine nicht zu unterschätzende leistung ist, drei stunden mit so hohen absätzen nur so dazustehen.

und manchmal dürfen sie sich auch niedersetzen. wobei ich nicht weiß, ob das eine erleichterung ist, weil die müssen sich dann ja nackig wie sie sind auf den kalten boden setzen.

also stellt sich für mich heraus, dass die reine ansammlung von nacktheit noch lange kein sehenswertes ereignis ist.

was ist dann aber das ereignis, die performance?

das nichtereignis?

noch was ist mir dann aufgefallen.

da hingen doch glatt zettel an der wand, dass der zutritt für personen unter 18 jahren nicht gestattet ist. sittliche gefährdung der jugend sozusagen!  

hängen im kunsthistorischen museum auch solche warnungen herum, wenn auf einem bild eine nackte frau zu sehen ist?

warum hängen die dann in der kunsthalle.

wars vielleicht doch nicht kunst, weil bei kunst gibts ja keine sittliche gefährdung.

und jetzt könnt ich natürlich eine philosophische diskussion über nacktheit in der kunst und die gefährdung unserer jugend führen.

oder eine darüber was kunst ist und was nicht.

tu ich aber nicht.

das machen sowieso andere, die viel mehr davon verstehen als ich.

ach ja, eine wiener f-politikerin deren namen mir auf grund ihrer unwichtigkeit schon wieder entfallen ist, hat sich dann doch zu wort gemeldet und gemeint, dass das ein skandal ist. so ein skandal!

aber das allein ist ja noch kein kulturschock!

den hab ich dann am samstag gekriegt.

back to the roots sozusagen.

da war ich dann, eingeladen von einem freund, in einer ziemlich tiefen hütte beim hannovermarkt.

für die, die nicht wissen, was das ist. eine tiefe hütte beim hannovermarkt:

der hannovermarkt liegt mitten im 20. bezirk, umgeben von alten zinshäusern und alten gemeindebauten. viele arme, alte leute wohnen dort. viele arme „ausländer“. viele arbeiter und auch viele ohne arbeit. proletariat pur. und ein markt potenziert so eine mischung natürlich. und eine tiefe hütte ist halt ein gasthaus, wo sich all diejenigen die dort hausen (weil wohnen tut man in so einer gegend eher nicht), reingehen, weil sies zuhaus nicht mehr aushalten.

da sind meine wurzeln! da bin ich aufgewachsen.

also normalerweise tät ich mich in so ein lokal ja nicht mehr reintrauen.

aber am samstag war ich ja eingeladen. geschlossene veranstaltung sozusagen.

da hat einer mit seinen freunden musik gemacht. ein verkappter künstler. von elvis über hendrix zu ambros. und gar nicht einmal so schlecht.

davon hätt ich auch noch keinen schock.

aber das drumherum.

da war einmal der koberer (der koberer ist der wirt)

ziemlich undefinierbaren alters, aber ich schätz einmal so mitte dreissig. die langen blonden haare streng nach hinten zu einem zopf gebunden. nur hochhackige stiefel hat er keine angehabt. und rasiert war er auch nicht. ganz im gegenteil. der hat seine körperbehaarung ganz stolz und sichtbar bis zum nabel vor sich hergetragen. geschmückt mit dicken goldenen ketten und kreuzen. und von bulimie war da natürlich auch keine rede. mit dem an seinem körper abgelagerten nahrungsmittelüberschuss hätten sich die fünfundvierzig vom freitag ein ganzes jahr ernähren können. nicht unfreundlich, aber mit dem charme des langjährigen branntweiners und seiner gäste versehen. ich glaub, das nennt man rauh aber herzlich!

dann war da das lokal.

holzgetäfelt. aber vom holz war nicht mehr viel zu sehen. hirschgeweihe an der wand. und reproduktionen von alten stichen. auf den tischen plastiktischtücher mit blumenmuster. und den speiseresten vom vortag, oder gar der ganzen letzten woche. die speisekarte sozusagen.

aber dafür billig.

ein schnitzel mit erdäpfelsalat, so groß, das gleich das staniolpapier zum einpacken mitgeliefert werden muss. um nur 48,–! (aktuelle notwendige ergänzung: die beträge verstehen sich in österreichischen schilling – umgerechnet in € wären das 3,50. dafür kriegst heut meist ned amal mehr an grossen braunen.)

sparerips mit den knochen von einer ganzen sau, da tät sogar der obelix satt werden. um wohlfeile 65,-! selbstverständlich mit beilage!

und das seiderl um einen nassen zwanziger! oder auch einen trockenen!

wer muss da noch nach sopron fahren!

die schilderung der toilettanlage erspar ich euch. das könnte wirklich unappetitlich werden.

und dann die gäste!

der pensionist, der zu jedem der unter sechzig, „mei bua“ sagt.

die endzwanzigerin, die so alt ausschaut wie das holz an der wand und so hart ist dass dagegen selbst der koberer wie ein dünnbrettbohrer ausschaut.

die graue maus, die ihren ausweg aus dieser tristesse in der esoterik und selbstgestrickten pullis gefunden hat. die ihren astralkörper schon längst an ein anderes universum überantwortet hat und deren körper auch so ausschaut.

und als krönung der „baumasta“

wie ich erfahren habe ein inzwischen 68 jahre alter selfmademan.

dichtes, graues, lockiges haar bis zu den schultern.

ein gesicht wie charles bronson nach dem fünften lifting und einer dreiwochentherapie solarium.

schwarze lederhose bis zum bauchansatz. und schwarzes hemd, bei dem offensichtlich die knöpfe vergessen wurden. in der körperbehaarung dem wirten in nichts nachstehend (ich hab sogar den verdacht die haben sich da gematcht). natürlich nicht mehr in  farbe. „friedhofsblond“ hat der hader diese schattierung genannt.

goldketten um den hals und an den armen, dass selbst run d.m.c. vor neid erblassen täten.

und tätowierungen aus einer zeit, wo man das noch nicht tatoo sondern peckerl genannt hat.

und ganz offensichtlich der star der belegschaft!

gesungen hat er auch. irgendwas von einem bären mit steifen ohren.

aber zu diesem zeitpunkt war ich schon so fassungslos, dass ich den rest des abends nur noch durch eine milchglasscheibe wahrgenommen habe.

ich hab schlecht geschlafen in dieser nacht.

alpträume hab ich gehabt. 45 nackte koberer in hochhackigen stiefeln sind mir erschienen. und die sparerips und schnitzel sind wieder lebendig geworden und als wildgewordene säue durch die kunsthalle gesprungen.

und der baumasta ist mit der videokamera durch die nacht gezogen und hat f-politikerinnen in staniolpapier gefilmt.

der hansi hinterseer hat sich bös weggerappt und mit goldenen moonboots geklimmpert.

und dann war da noch der versace, der die löcher in den hemden, für die keine knöpfe vorhanden waren, zugenäht hat.

schweißgebadet bin ich munter geworden und seither auf der suche nach einem therapeuten der mir wieder ein normales dasein erlaubt.

könnt ihr mir helfen?

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