Brauchen wir Populist*innen/Populismus?
Bevor diese Frage zu beantworten ist, bedarf es wohl einer Klärung dieses Begriffes.
Was genau ist unter Populismus zu verstehen und auch, wie er zu bewerten ist?
Google meint: eine Politik, die mit scheinbar einfachen Lösungen die Gunst der Bevölkerung zu gewinnen versucht.
Und das Demokratiezentrum Wien definiert:
Als Populismus bezeichnet man eine bestimmte Art des Sprachgebrauchs in Wissenschft und Politik. Populistisch agierende Parteien/PolitikerInnen versuchen, komplizierte, abstrakte Tatbestände, die durch ihre Komplexheit verwirrend wirken und Verunsicherung hervorrufen, scheinbar einfach darzustellen – häufig auf emotionalisierende Weise.
Populismus und Populist*innen sind also diesen Definitionen zufolge eher übel beleumdet.
Wenn man sich aktuelle Entwicklungen in Österreich, Europa oder den USA ansieht, zu Recht.
Vor allem auch, weil die Komplizenschaft von Medien und hier vor allem des Boulevards, mit den Rechtspopulisten unheilvolle Auswirkungen erkennen lässt.
Auch die immer grössere Bedeutung von Social-Media und die immer grössere Nutzung als einzige Nachrichtenquelle vieler User*innen, machen es den Populist*innen noch einfacher.
Grosse Teile der – und hier vor allem der intellektuellen – Linken stehen dieser Entwicklung unvorbereitet und fassungslos gegenüber. Ihre Reaktion ist Widerwille und Abscheu.
Sehr oft ist linke Politik durch komplexe Diskussionen und ausführliche Theorien geprägt. Und zwar vorbei an den tatsächlich Betroffenen.
(Anmerkung: Leider ist derzeit von der österreichischen Linken in der Öffentlichkeit sehr wenig zu bemerken – auch nicht die angesprochenen theoretischen Diskussionen)
Sie übersehen dabei, dass es auch aktuell linken Populismus gibt.
Syriza, Podemos oder auch Bernie Sanders können hier ohne Zweifel als Beispiel herhalten.
Auch Sahra Wagenknecht fällt in diese Kategorie.
Dies bestätigt jene Strömungen unter Politikwissenschaften und Soziologen, die Populismus nur als Kommunikationsstil sehen.
Populismus – ein politisches Werkzeug
Jan Jagers und Stefaan Walgrave zufolge kann Populismus aber auch nur ein bestimmter Kommunikationsstil sein.
Benjamin Moffitt und Simon Tormey schlagen vor, Populismus in erster Linie als eine Frage des politischen Stils zu betrachten.
Diesen Gedanken folgend ist Populismus nicht per se böse oder verdammenswert, sondern ebenso wie komplexe Diskussionen nach Inhalt und Zielrichtung zu beurteilen.
In meiner Definition bedeutet Populismus:
Die Vereinfachung komplexer Materien auf eine Schlagzeile.
(Anmerkung: Verbunden auch mit dem Risiko Unschärfen zu produzieren und sich damit in schlechter Gesellschaft zu befinden.
Als Beispiel für den Erfolg linken Populismus, aber auch als Warnung davor, dem Populismus die eigenen Ziele und Werte zu opfern, kann die jüngste TTIP/CETA-Kampagne dienen, die sich auch aus Nationalismus, Technologiefeindlichkeit und Antiamerikanismus speist und zeigt wie leicht es Strache und Krone dadurch fällt die Kampagne mehr oder weniger zu kapern und für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren.)
Als österreichischer Grossmeister linker Populisten darf wohl Bruno Kreisky genannt werden.
Unvergessen und oft zitiert seine Aussage:
Ich sage, was ich immer wieder sage: Dass mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mehr bereiten würden.
Und das „Yes, we can“ Barack Obamas ist eine ebenfalls sehr reduzierte Vereinfachung.
Ist Obama deshalb ein böser Populist?
Übrigens – auf dem Paradebeispiel der linken Variante des Populismus basieren die Menschenrechte.
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit
Populismus bedeutet Emotionen
Die grosse Skepsis gegenüber Populist*innen und dem Populismus beruht auf dem ambivalten Verhältnis zu Emotionen in der Politik.
Wo Sachlichkeit und Rationalität auf Grundlage von Statistiken oder wissenschaftlichen Erkenntnissen bei Entscheidungen gefragt ist, stören Emotionen nur.
Andererseits verleihen Gefühlsäusserungen politischen Akteueren jene Authenzität, die notwendig ist, um als „menschlich“ wahrgenommen zu werden.
Niemand mag „unmenschliche“ Politik (Politiker*innen).
Politiker*innen und politische Parteien müssen aber bei den Menschen jene Zustimmung erlangen, die sie in die Lage versetzt, ihre Anliegen auch umzusetzen, d.h. gewählt werden.
Experimente zeigen auch, dass emotionale, populistische Botschaften von der Wählerschaft tatsächlich als besonders überzeugend wahrgenommen werden.
Populismus aus Notwehr
Die oben angeführten Beispiele zeigen, dass Populismus trotz der in der öffentlichen Wahrnehmung aktuell dominierenden Populist*innen von rechts – also nationalistisch, rassistisch, antifeministisch – in der Linken historische Tradition hat.
(Anmerkung: Linke Politik/Populismus sollte immer auch auf dem Fundament grosser Theoretiker wie zb Marx beruhen. Letztendlich kann auch der legendäre Aufruf: „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!“ als Populismus subsumiert werden.)
Auch Linke müssen sich in ihrem Bestreben, gesellschaftliche Veränderungen zur Verbesserung der Lebenssituation vieler Menschen, dieses politischen Werkzeugs bedienen. Mit Bedacht, mit Moral und mit der notwendigen Sorgfalt, die prinzipiell von linken Politiker*innen erwartet wird.
So, wie ein Messer nicht zwangsläufig böse ist, weil es auch zum töten verwendet werden kann, entscheidet auch der Mensch hinter populistischen Aussagen darüber, welcher Zweck und welches Ziel damit verfolgt wird.
Wir Linken dürfen dieses Feld nicht kampflos jenen überlassen, die neben ihrem Bestreben die Gesellschaft nach ihren Vorstellung und Ideologien zu gestalten auch ihr persönliches Machstreben und eigennützige Vorteile damit generieren wollen.
Deshalb braucht es linken Populismus!
Avanti Popolo!
In diesem Sinne:
Bleibt´s gsund und losst´s eich nix gfoin!
Und passt´s auf eich auf!