Es wird geklatscht in Wien.

Jeden Tag um 18.00 Uhr.

Vom Balkon, aus dem Fenster, von wo auch immer.

So bedanken sich die Wiener*innen beim Personal in den Supermärkten und beim Gesundheits- und Pflegepersonal. Ein (sehr) kleines Zeichen der Anerkennung der erbrachten Leistungen. Aber immerhin ein Zeichen, dass wahrgenommen wird, dass diese „Systemerhalter“ derzeit aussergewöhnliches vollbringen. Diese Anerkennung sollte allerdings nicht aufs applaudieren beschränkt bleiben.

Einer dieser Pfleger, Ricardo Lange schreibt auf Facebook (ausnahmsweise sein Posting in voller Länge zum vollen Verständnis für die Situation der Pflegenden).

Jetzt muss ich mich mal auskotzen.
Wie viele meiner Kollegen arbeite ich als Krankenpfleger auf einer Intensivstation.
Seit Jahren wird das Gesundheitssystem kaputt gespart und das Personal verheizt. Das Wort Freizeit und Familie kennen viele schon gar nicht mehr. Jetzt seit der Corona Krise werden wir beklascht und bejubelt, Leute stehen auf dem Balkon und feiern uns. Aber soll ich euch etwas sagen? Es juckt mich ein Scheiß. (Achtung: Der Satz soll nicht respektlos erscheinen, ich wollte damit meinen Unmut kundtun und niemandem auf die Füße treten)

Was bringt mir das Geklatsche wenn sich für uns weiterhin nichts ändert? Wir werden weiterhin mit dem Personalmangel zu kämpfen haben, täglich einspringen müssen. Es wird einfach ausgenutzt das wir nicht streiken können da hier sonst Menschen sterben.
Und gerade jetzt wo wir am meisten Unterstützung brauchen fehlt es an allem. Die Personaluntergrenze wurde aufgehoben, jetzt muss jede Pflegekraft wieder mehr Patienten versorgen. Schutzmasken die für unsere Sicherheit aber auch für die der Patienten sorgen sind knapp oder gar nicht vorhanden. So bekommt jeder nur eine Maske pro Schicht. Dafür sind die gar nicht ausgelegt. Was ich aber noch viel schlimmer finde ist, das es Angehörige gibt die unsere Masken geklaut haben, sogar das Desinfektionsmittel wurde teilweise geleert und mit Wasser aufgefüllt. Was zur Hölle stimmt denn mit euch nicht?
Und wenn meine Kollegen und ich nach der Schicht heim fahren und einkaufen wollen ist alles leer. Dann rennt man von Supermarkt zu Supermarkt um wenigstens die wichtigsten Dinge zu bekommen. Es wurde sogar schon auf Station Toilettenpapier gegen Gemüse getauscht. Kein Witz!
Ihr wollt uns wertschätzen? Gut, dann hört auf euch wie Egoisten zu verhalten. Kauft nur das was ihr wirklich benötigt und vergesst nicht das es Menschen gibt die arbeiten müssen, oder ältere die eben nicht die Möglichkeit haben große Ladungen nach Hause zu schleppen. Haltet euch endlich an die Maßnahmen die von der Regierung erlassen werden, egal was ihr davon haltet. Und vor allem würde ich mir wünschen, vergesst uns nicht wieder wenn das alles überstanden ist. Denn wir gehen dann weiterhin jeden Tag zur Arbeit und kümmern uns um euch oder euren Angehörigen.
Wenn ihr das alles erledigt habt, dann könnt ihr gerne weiterklatschen.

Und die Regierung fordere ich auf, handelt endlich statt wie immer nur rumzuschwafeln. Hört auf eure Diäten zu erhöhen, macht unseren Beruf wieder attraktiver durch bessere Bezahlung und vor allem durch bessere Arbeitsbedingungen. Es reicht! Ihr wollt Fachkräfte? Dann bezahlt sie auch wie solche!
Nicht morgen, nicht irgendwann. Jetzt!
Sonst wird in Zukunft niemand mehr da sein der eure ganzen neuen Beatmungsmaschinen bedient.

Zum Abschluss wollte ich mich noch einmal persönlich bei allen Menschen bedanken die täglich dafür Sorgen das der Laden weiterläuft. Mein Dank geht an jede Verkäuferin die sich mit egoistischen, teilweise beleidigenden Kunden rumärgern muss bis hin zum Polizisten oder Feuerwehrmann.

Danke

Und auf Twitter schreibt eine dieser Pflegerinnen:

Wir Pflegekräfte brauchen keine Klatscherei. Wir wollen auch keine Merci Schokolade & warme Worte! Wir brauchen 4000€ brutto, mehr Personal, Gefahrenzulagen und ein entprivatisiertes Gesundheitssystem! Macht Mal lieber mit uns Arbeitskampf!

Erinnern wir uns an die Zeit unmittelbar vor dem grossen „CoronaBang“.

Am 3. März:

Die siebente Runde der Kollektivvertragsverhandlungen in der Sozialwirtschaft Österreich ist in der Nacht auf Dienstag nach zwölf Stunden ohne Einigung unterbrochen worden. 125.000 Beschäftigte im privaten Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich sind von diesem Kollektivvertrag betroffen. Die achte Runde soll am 26. März stattfinden. In der Zwischenzeit rufen die Gewerkschaften wieder zu Streiks auf, um ihrer Forderung nach einer 35-Stunden-Woche Nachdruck zu verleihen.

Geplante Proteste und Demonstrationen z.B. am 10. März wurden dann schon abgesagt. Aktuell denkt natürlich niemand an Streik. Aber dann, wenns vorbei ist, muss dieses Thema schleunigst wieder auf den Tisch.

Wird es wieder Streiks brauchen um den berechtigten Forderungen dieser Beschäftigten genug Nachdruck zu verleihen? Und wer von den „Klatschern“ wird es dann der Mühe wert finden, mit auf die Strasse zu gehen um zu zeigen, dass Solidarität nicht nur vom Balkon aus gilt?

Geklatscht wird aber ja nicht nur für das Personal in Spitälern und Pflegeeinrichtungen, sondern auch für die Bediensteten im Lebensmittelhandel, ohne die die meisten von uns, die Krise noch viel deutlicher am eigenen Leib verspüren würden. Ebenfalls eine Gruppe von arbeitenden Menschen, die bisher als „Systemerhalter“ so nicht wahrgenommen wurde und die nun unter grosser Infektionsgefahr ihren Job verrichten. Die Anerkennung durch den öffentlichen Applaus haben auch sie sich redlich verdient.

Aber auch da gilt: reicht das?

Die „Billa-VerkäuferIn“ ist zum Synonym für jene Arbeitskräfte geworden, die für wenig Geld viel arbeiten. Und in „Corona-Zeiten“ noch um einiges mehr als üblich.

Lt. Kollektivvertrag erhält eine Vollzeit-Kraft im Handel 1.606,- Euro. Brutto. Ergibt netto: 1.288,88. Und das unter teilweise sehr schlechten Arbeitsbedingungen wie lange Arbeits(Öffnungs)zeiten, unbezahlten Überstunden usw. Viele von ihnen pendeln mit sehr langen Anfahrtszeiten. Und der Grossteil von ihnen ist weiblich.

Durch die öffentliche Wahrnehmung der Wichtgkeit dieser Tätigkeiten ist nun Druck entstanden, diesen MitarbeiterInnen nicht nur Anerkennung, sondern durch die jeweiligen Arbeitgeber (Handelsketten), die nun auch deutlich erhöhte Umsätze erzielen, einen finanziellen Bonus für die Mehrbelastung auszubezahlen.

Was auch geschah.

Allerdings nicht ohne, dass sich diese Unternehmen (Spar und Rewe) durch diese „Prämienzahlung“ auch Medien- und somit PR-wirksam in Szene gesetzt haben.

Ganz nach dem Motto: Tue gutes und rede darüber

Oder wie man in Marketingkreisen sagt: 10 % do it, 90 % talking about it.

Schauen wir uns als an, was da wirklich bezahlt wird/wurde.

EinE Rewe(Billa, Merkur, Penny, BiPa)-MitarbeiterIn postete:

200 € steuerfreies Geld auf die Mitarbeiterkarte. Ich bin jetzt reich! Merkts euch des endlich amoi!

D.h. € 200,- einlösbar für Einkäufe beim beschäftigenden Konzern. Immerhin.

Noch grosszügiger der „Bonus“ bei Spar: € 100,- auf die Mitarbeiterkarte.

Dazu wurde in der Öffentlichkeit publiziert:

„Spar hat bereits rund drei Millionen Euro an die durch den ersten Kundenansturm besonders getroffene Mitarbeitergruppen ausgeschüttet.“

Zu den Relationen.

Die Spar-Gruppe hat in Österreich insgesamt 43 974 Beschäftigte.

Der konsolidierte Konzern-Nettoumsatz stieg 2019 um +4,3 % auf 10,6 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Ertragssteuern (EBT) betrug über 324 Millionen Euro. 

Also 324 Millionen Euro Gewinn im Jahr 2019 und eine Gesamtbonusauszahlung in der Höhe von € 3 Millionen.

Weniger als 1 %!

In Frankreich dagegen erhielten Supermarkt-Verkäuferinnen eine Prämie von 1.000 Euro.

Und nun noch zu einer Gruppe von Beschäftigten, die derzeit ebenfalls erheblichen Mehrbelastungen und auch Risiken ausgesetzt ist.

Das Reinigungspersonal – in Spitälern, Pflegeeinrichtungen und natürlich auch allen Geschäften, Büros, Ministerien usw. in denen noch gearbeitet wird.

Ein besonders perfides Beispiel für gerechten Lohn bei aussergewöhnlichen Leistungen offenbart sich in einem Inserat der Firma ISS.

Es wird DRINGEND Personal für die Reinigungsteams in Wiener Spitälern gesucht.

Geboten wird ein Stundenlohn von € 9,33. Brutto!

Montag bis Sonntag – von 7.00 bis 19.00 Uhr.

Und generöser Weise und weil die Umstände halt gerade auch gefährlich sind, gibt es obendrauf eine Infektionszulage von € 0,50!

In Worten: fünfzig Cent

Einmal Haarpflege für den Kanzler kann schon einmal € 600,- ausmachen.

Umgerechnet bedeutet das:

1.200 Stunden putzen unter erschwerten Bedingungen.

Oder 40 Wochen je 30 Stunden.

Und womöglich noch bei einem 12-Stunden-Arbeitstag.

Gleiches gilt z.B. auch für die vielen Zusteller, die uns jetzt mit allen möglichen und unmöglichen Dingen bis zur Haustür versorgen und oft in prekären Dienstverhältnissen ihre Existenz sichern müssen.

Und zum Schluss:

In Wien betrug der Anteil an Wienerinnen und Wienern mit einer ausländischen Herkunft im Jahr 2019 rund 40 Prozent.

Viele davon arbeiten gerade in den oben angeführten Branchen und sichern mit ihrer Anwesenheit und Tätigkeit unser Überleben.

Vom offiziellen Österreich unbedankt.

Wie sonst erklärt sich die dauernde und strikte Weigerung in den Danksagungen von Kurz & Co auch jenen „Nicht“-Österreicher*innen zu danken, ohne die dieses Land schon lange stillstehen würde?

In den vielen Reden an „alle Österreicher und Österreicherinnen“ – anstatt wie es Bierlein formuliert hat „an die „Bürgerinnen und Bürger und alle Menschen, die in unserem Land leben“- sind diese dann wohl noch weniger als sonst „mitgemeint“.

Der „nationale Schulterschluss“ schliesst offensichtlich explizit jene aus, die wesentlich mithelfen das System „am Laufen“ zu halten.

Leistung muss sich wieder lohnen!

Wir alle wissen, aus welcher Richtung diese Schlagzeile kommt.

Wenns dann vorbei ist, sollten wir nicht vergessen, „denen“ vom „Team Österreich“ eine dementsprechende Abrechnung zu präsentieren.

In diesem Sinne:

Bleibt´s gsund und losst´s eich nix gfoin!

Passt´s auf eich auf und wehrt´s eich!

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