Schon seit vielen Jahren zünde ich am 8. Mai eine Kerze an.

Zum Gedenken an meine Mutter, die an einem 8. Mai geboren wurde. Vor mehr als 100 Jahren.

Sie hat die Tage nach dem 1. Weltkrieg als Kleinkind in Not und Hunger verbracht. Sie hat am eigenen Leib miterlebt, wie Grossbauern ihre Knechte und Mägde als Leibeigene betrachteten. Harte Feldarbeit ohne Lohn auch für Kinder waren an der Tagesordnung. Sie hat miterlebt und um ihr Leben gefürchtet, als im 2. Weltkrieg Bomben auf den nahegelegenen Fliegerhorst geworfen wurden. Sie hat ihren Ehemann bei Stalingrad verloren. Sie hat seine Tochter, meine Schwester, grossgezogen, ohne dass dieser sie auch nur ein einziges mal gesehen hat. Sie wurde knapp vor Ende des 2. Weltkrieges von einem SS-Schergen mit dem Tode bedroht, weil sie sagte: „Zeit wird’s, das vorbei is. Is eh schon alles verloren“. Sie hat die Zeit nach dem Krieg in der „Russen-Zone“ erlebt und unbeschadet überstanden. Sie ist dann mit ihrem 2. Mann, meinem Vater, nach Wien gezogen und beide haben hart gearbeitet um ein ganz kleines Stück vom aufkommenden Wohlstand für sich, und für mich, zu ergattern.

Sie war eine einfache, aufrechte und herzensgute Frau. Mit ihrer Liebe, ihrem Humor und ihrer Lebensfreude hat sie mir den Glauben an das Gute im Menschen weitergegeben. Aber auch das Wissen um das Böse, das ebenfalls in Menschen schlummert.

Aus vielen Erzählungen und persönlichen Details lernte ich das Leid, dass durch Unterdrückung, Fehlglaube und Krieg entstehen, kennen. Das prägt mich bis heute und lässt mich auch lange lange Jahre nach dem Ende der Faschistenherrschaft wachsam sein.

Wachsam gegenüber jenen Kleinigkeiten, die kumuliert zur grossen Katastrophe Nationalsozialismus führten. Jene Kleinigkeiten die heutzutage wieder toleriert werden und die ohne Widerstand wieder zu einer Unrechtherrschaft führen können und werden.

Was hat das alles mit dem weltweiten Gedenken am 8. Mai zu tun?

Viel!

Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, ist mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende gegangen. Österreich war vom Hitler-Regime befreit und als eigener Staat wiederhergestellt.

Der 8. Mai ist das Symbol für das Ende der Unterdrückung und ein Feiertag für alle aufrechten Demokraten.

Lange – zu lange – waren wir Österreicher*innen nicht nur nicht dabei, sondern das erste Opfer des Nazi-Regimes.

Zum Symbol für diese österreichische Lebenslüge und dem daraus entstehenden Opfermythos wurde ein Pferd.

„Ich stelle fest, dass Kurt Waldheim nie bei der SA war, sondern nur sein Pferd.“ 

Fred Sinowatz

Vergessen wird auch oft wer die Hauptlast des Widerstandes trug.

Von den vor dem Volksgerichtshof angeklagten WiderstandskämpferInnen sind fast 50 % dem kommunistischen Widerstand zuzuordnen, Auch der wichtige bewaffnete Widerstand wurde meist auf Initiative von Kommunisten gebildet. (Quelle: DÖW)

Im Laufe des Jahres 1944 verübte die österreichische Freiheitsfront (ÖFF) mehrere Anschläge auf Bahnlinien und verlor bei Gefechten mit den sie verfolgenden NS-Kräften mehrere Kämpfer. Neben dem Raum Leoben war die ÖFF in der Gegend um Judenburg aktiv, weiters in Eisenerz und bei Eibiswald. In der zweiten Hälfte 1944 wurden die Gruppen, vor allem durch die Aufdeckung des zivilen Unterstützerumfelds, weitgehend aufgerieben. Einzelne Gruppen konnten sich aber trotz großer Verluste zum Teil bis 1945 behaupten und an der Befreiung mitwirken.

Beispielhaft für diese Vergessenen

Jakob Doff wurde am 2.7.1909 in Sillweg/Judenburg geboren. Er war Bergarbeiter.

1934 trat Jakob Doff der KPÖ bei.

Im Juli  1941 wurde Jakob Doff verhaftet, und am 1. 8. 1942 zum Tode verurteilt. Am 2.12.1942 erfolgte im Landesgericht I in Wien seine Hinrichtung.

Aus dem Urteil

„Der Angeklagte Doff kam im Sommer 1939 mit den Mitangeklagten Wachter und [Friedrich] Drobesch überein, die kommunistische Partei in dem Bezirk des Industrieortes Fohnsdorf aufzubauen, und es gelang ihnen auch im Laufe der Zeit eine Organisation zu bilden, der schließlich im Juni 1941 mehr als 40 Mitglieder angehörten. Den äußeren Anlass zu dieser Betätigung gab die Verhaftung von Mitgliedern des illegalen Kommunistischen Jugendverbandes in Fohnsdorf. Die Angeklagten wandten sich an sie als zuverlässig bekannte Gesinnungsfreunde und forderten sie auf, für die Angehörigen dieser Häftlinge laufend – gewöhnlich eine bis zwei Reichsmark im Monat – zu spenden.“

Der 8. Mai soll und muss also Erinnerung aber auch Mahnung sein, entschieden Widerstand zu leisten, und den bösen Geistern der Vergangenheit die Stirn zu bieten.

Am 8. Mai 1945 hat das 3. Reich kapituliert – aber nicht der Faschismus.

Und es gibt sie noch und schon wieder, diese bösen Geister, denen das Gedenken am 8. Mai mehr Trauerfeier als Freudenfest ist.

Wenn auch mit freundlichen Gesichtern und in neuem Gewande.

Gerade in Zeiten wie diesen, in denen von „der grössten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ und von einer „massive Ausbreitung mit bis hin zu 100.000 Toten“ die Rede ist, in denen eine „neue Normalität am Rande des demokratischen Modells“ gepriesen wird und in denen Angst als Mittel der Politik missbraucht wird, ist diese Achtsamkeit mehr als nur angebracht.

»Es gibt in Zeiten der Angst eine große Bereitschaft zum Gehorsam«

Daniel Kehlmann
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