„Wird eine Fußballweltmeisterschaft vom Radio übertragen, deren jeweiligen Stand die gesamte Bevölkerung aus allen Fenstern und durch die dünnen Wände der Neubauten hindurch zur Kenntnis zu nehmen gezwungen ist, so mögen selbst spektakulär verschlampte Gammler und wohl situierte Bürger in ihren Sakkos einträchtig um Kofferradios auf dem Bürgersteig sich scharen. Für zwei Stunden schweißt der große Anlass die gesteuerte und kommerzialisierte Solidarität der Fußballinteressenten zur Volksgemeinschaft zusammen. Der kaum verdeckte Nationalismus solcher scheinbar unpolitischen Anlässe von Integration verstärkt den Verdacht ihres destruktiven Wesens.“
Theodor W. Adorno: Anmerkungen zum sozialen Konflikt, 2003
Fussball, oder wie es die Amis nennen Soccer, hat sich zum vielleicht einzigen globalen Massensport entwickelt.
Die FIFA (Fédération Internationale de Football Association) ist die grösste Organisation der Welt. Mit 209 Mitgliedsländern ist sie größer als die Vereinten Nationen mit 193 Mitglieder. Schätzungen zufolge sind rund 500 Millionen Menschen weltweit im FussballBuisness involviert – von Club-Manager*innen über Spieler*innen bis hin zu organisierten Fans. Die Identifikation mit der „National-Mannschaft“ gilt inzwischen als das Allernormalste von der Welt.
Die Inszenierung vor den Spielen mit dem Abspielen und gemeinsamen Singen der National-Hymnen trägt das ihre dazu bei. Wer nicht mitsingt gilt schon beinahe als „Verräter“.
Und mit einem Tor zur rechten Zeit wird man – auch als „Ausländer“ zum Nationalhelden.
„Ivo, jetzt bist Du ein richtiger Österreicher“
Es gibt wohl nicht viele Ereignisse, bei denen – ich nenn das einmal vorsichtig – der „Patriotismus“ so unverholen und ohne jedwede Hemmung zur Schau gestellt wid, wie bei Welt- oder Europameisterschaften im Fussball.
Jetzt spricht per se nichts dagegen, der „eigenen“ Mannschaft – also der Nation, in die man zufällig hineingeboren wurde – die Daumen zu halten. Wer empfindet keine Sympathie bei den Gesängen der irischen Fans oder beim berühmt gewordenen rhythmischen Klatschen der Isländer*innen.
Die sich bietende transnationale mediale Bühne lockt natürlich auch allerlei weniger freundliche Zeitgenossen um diese zu nutzen. Rassistische Fans, Hooligans und eindeutig Nationalistische Parolen sind ebenso gegenwärtig.
Patriotismus ist die kleine Schwester des Nationalismus
Ein besonders absurdes Beispiel für diese Nationalismus erleben wir im Rahmen der EURO2020 gerade in Österreich mit dem Fall Arnautovic.
Der in Wien geborene Österreicher, Sohn eines Serben, beleidigt die albanische Mutter des in der Schweiz aufgewachsenen Nordmazedoniers. Aktuell lebt einer der beiden in China, angeblich mit der Option seinen Aufenthaltsort nach Italien zu verlegen und der andere in England.
Absurder in seiner Unlogik kann Nationalismus nicht mehr werden.
Patriotismus – Nationalismus – Chauvinismus
Die Grenzen dazwischen sind oft sehr durchlässig. Schnell kommt es zur Idealisierung der eigenen Nation. Das Ansehen der eigenen Nation wird gegenüber anderen Nationen erhöht und die eigene Nation durchwegs positive bewertet.
Die empfundene Zugehörigkeit zu einem höheren nationalen „Ganzen“ tröstet oft über die realen persönlichen Schwierigkeiten und Nöte hinweg. Verursacht durch eine Politik, die mit dem Verweis auf angebliche „Sachzwänge“ die Schere zwischen Arm und Reich weiter vorantreibt und dabei die Interessen der vermögenden Eliten der Gesellschaft bedient.
Eine Klaviatur auf der auch in Österreich gespielt wird.
Mit der uns eigenen Unbeholfenheit und mit dem uns eigenen Talent zur Lächerlichkeit.
Die durchwegs überhöhte Darstellung der Republik Österreich durch unseren Kanzler kennen wir ja bereits zur Genüge. Wir (Österreicher*innen) sind in allem Möglichem die Besten. Wir (vor allem ER) machen keine Fehler. Und wenn Fehler passieren, ist sicher jemand anderes Schuld.
Das Musterbeispiel für diesen Missbrauch des Sports für parteipolitische Interessen sind die neuen „ÖVP-Dressen“ der Nationalmannschaft. Das ist ganz nahe an einer Karikatur einer neuen 3. Kurz-Republik.
Und zwar unabhängig vom Abschneiden „unserer“ Mannschaft.